DSAG sieht viele SAP-Kunden von Innovationen abgeschnitten
Im Juli hat SAP angekündigt, Innovationen nur noch in der Cloud verfügbar zu machen. Die Anwendervereinigung DSAG übt daran deutliche Kritik. Hier Auszüge aus ihrer aktuellen Pressemitteilung.
Die Ankündigung von SAP, neueste Innovationen, wie zum Beispiel KI, Green Ledger und größere Funktionsbausteine sowie Erweiterungen der Business Technology Platform nur in der Cloud zur Verfügung zu stellen, trifft insbesondere On-Premise-Kunden, Hyperscaler mit direktem Kundenkontakt und Managed-Services-Provider hart. Konkret bedeutet sie, dass zum Beispiel diese von SAP geplanten Innovationen für Unternehmen nicht verfügbar sein werden, die eine gehostete Hyperscaler-Implementierung außerhalb von RISE with SAP verwenden.
Darüber hinaus wären sie auch nicht in On-Premise-Implementierungen von S/4HANA verfügbar. Aus DSAG-Sicht ist das eine 180-Grad-Wende zu den bisherigen Äußerungen. SAP hatte zuvor behauptet, Verbesserungen nicht auf cloudbasierte Angebote beschränken zu wollen. Die Aussage ist ein schwerer Schlag. Sie kommt einem Paradigmenwechsel gleich.
30 Prozent Preisaufschlag
Der Software-Hersteller kündigte zudem konkret an, dass er Künstliche Intelligenz (KI), generative KI und Nachhaltigkeitsfunktionen nicht in On-Premise-Versionen anbieten wird. Entsprechende Funktionen sollen stattdessen Bestandteil von RISE-with-SAP- und Grow-with-SAP-Verträgen sein – allerdings soll dies nach aktuellen Informationen optional für das Premiumpaket mit den neuen Innovationen zusätzlich 30 Prozent mehr kosten.
Unternehmen, die eine Umstellung auf S/4HANA geplant haben und die bestehenden Lizenzen nutzen beziehungsweise neue erwerben, und entweder in ihren Rechenzentren oder Cloud-nativ mittels Infrastructure-as-a-Service (IaaS)-Umgebung eines Hyperscalers implementieren wollen, sollten sich bewusst sein: Neue KI- und Nachhaltigkeitsfunktionen werden sie somit nach dem Willen von SAP nicht nutzen können.
Vertrauensverhältnis
Die DSAG hatte den Software-Hersteller erst Anfang des Jahres dafür kritisiert, die On-Premise-Kunden nicht genug im Blick zu haben und sich zu stark auf cloudbasierte Innovationen und Angebote zu konzentrieren. Wer bisher auf S/4HANA On-Premise gesetzt hat, gerät durch die neue SAP-Strategie ins Hintertreffen. Kunden, die bereits in S/4HANA On-Premise investiert haben, können nun den Eindruck gewinnen, Millionen verschwendet zu haben. Das schafft kein Vertrauen, wenn SAP den Kunden nicht gleichzeitig klare Entwicklungspfade aufzeigt, für einen reibungslosen Übergang in die Cloud und in die Next Generation ERP, ohne die getätigten Investitionen zu gefährden.
In den vergangenen Jahren hat SAP die Kundenunternehmen ermutigt, auf S/4HANA umzusteigen – auch kleine und mittelständische Unternehmen. Viele Kunden haben die Herausforderung angenommen und Brown- und Greenfield-Ansätze umgesetzt, trotz der Komplexität der Systeme. Es wurden erhebliche Investitionen getätigt, mit der Erwartung, die neueste Technologie und Innovationen zu erhalten.
Die DSAG hat diese SAP-Strategie unterstützt. Der SAP-Fokus scheint nun aber nicht mehr auf On-Premise-Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Lösungen zu liegen, sondern vorrangig auf Cloud-ERP abzuzielen. Mit der Bekanntgabe der ursprünglichen Wartungsverlängerung bis 2040 hatte SAP ebenfalls zugesichert, Innovationen für S/4HANA bereitzustellen und Kunden damit Stabilität versprochen. Aus Kundensicht stellt sich jetzt allerdings die Frage: Was ist diese Wartungs- und Innovationszusage ohne die genannten Bereiche wert, wenn das System nicht kontinuierlich mit Innovationen versorgt und damit am Bedarf der Unternehmen vorbeientwickelt wird?
Kommerzielle Bundles
Die Frage danach, was noch zu erwarten ist, ist insbesondere vor dem Hintergrund berechtigt, da RISE with SAP und Grow with SAP keine unabhängigen Produkte sind. Tatsächlich handelt es sich im Wesentlichen um zwei kommerzielle Bundles, in denen S/4HANA Private Cloud oder S/4HANA Public Cloud enthalten sind.
Da S/4HANA in der Private Cloud im Grunde genommen eine On-Premise-Technologie ist, die durch ein anderes Betriebs- und Lizenzmodell angeboten wird, wirft das aus DSAG-Sicht die Frage auf: Warum sollten Innovationen nicht auch für On-Premise-Kunden verfügbar sein?
Die Begründung für die Priorisierung der Public Cloud ist angesichts ihres Potenzials nachvollziehbar. Doch die Einschränkung für On-Premise-Kunden bei den großen Innovationen wie KI, Green Ledger, und größeren Funktionsbausteinen sowie Erweiterungen, die auf der BTP basieren, ist es aus DSAG-Sicht nicht. Vielmehr scheint sie eine reine unternehmerische Entscheidung zugunsten der Cloud und zum Nachteil von On-Premise zu sein. Zudem wird sie seitens SAP kommunikativ deutlich zu wenig begleitet und begründet.
Die ist umso dringender gefordert, da zum Beispiel die On-Premise-Kunden einen anderen funktionalen Umfang nutzen als jene, die S/4HANA Private Cloud Edition einsetzen. In der Verwaltung werden zum Beispiel Module wie das Travelmanagement und die SAP Learning Solution genutzt, die nur On-Premise verfügbar sind.
Für die DSAG ist daher klar: Die Ankündigung von SAP wird gerade die Öffentliche Verwaltung sehr hart treffen und viel Geld kosten. Ganz zu schweigen davon, dass die Branche damit systematisch von bestimmten Innovationen abgeschnitten wird. Das ist gerade auch mit Blick auf die Digitalisierung im DACH-Raum ein fatales Zeichen. Gerade diese Kunden brauchen nun von SAP eine Antwort, wie sie an den Neuerungen und Innovationen teilhaben können.
Neue Technologien auch On-Premise?
Ein weiterer Punkt, der die Situation aus Anwendersicht verkompliziert, ergibt sich, wenn technologische Aspekte diskutiert werden. Es werden Fragen hinsichtlich der Verfügbarkeit von Technologien wie Machine-Learning (ML) und Künstlicher Intelligenz (KI) in S/4HANA-On-Premise-Systemen aufgeworfen. Ebenso ergeben sich aus den zahlreichen neuen KI-Funktionen rund um ChatGPT bzw. OpenAI Fragen, ob und inwieweit diese auch On-Premise angewendet werden, bzw. an On-Premise-Lösungen angebunden werden können.
Auch im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit tut SAP sich mit diesem Vorgehen weder selbst noch seinen Kunden einen Gefallen. SAP wirbt damit, Unternehmen nachhaltiger zu machen, verlangt jedoch für die erforderlichen Erweiterungen eine zusätzliche Gebühr für die „Innovation“. Dadurch schließe SAP einen erheblichen Teil seiner Kunden bewusst aus. Eine klare und verständliche Kommunikation über die Preisgestaltung für nachhaltige Lösungen ist demnach ebenfalls dringend erforderlich.
Innovationen mit identischem Leistungsumfang
Insgesamt haben die Aussagen aus DSAG-Sicht eine wichtige Diskussion über die SAP-Cloud-Strategie entfacht. SAP möchte damit erreichen, dass sich Unternehmen von traditionellen Lizenzierungs- und Implementierungsmodellen lösen. Der Software-Hersteller will mit diesem Vorgehen den Gang seiner Kunden in die Cloud forcieren. Aus DSAG-Sicht ist dies jedoch noch nicht für alle Unternehmen ein gangbarer Weg.
Es bleibt nun abzuwarten, wie der Software-Hersteller reagiert und ob er die Bedenken aufgreift. Die DSAG-Forderung ist eindeutig: Alle Innovationen für die S/4HANA Public Cloud oder Private Cloud sind für S/4HANA On-Premise mit identischem Leistungsumfang zur Verfügung zu stellen. SAP muss einen ausgewogenen Ansatz bei den Innovationen gewährleisten und darf die Kundenzufriedenheit nicht aus dem Blick verlieren. DSAG und SAP haben Gespräche aufgenommen, um Lösungswege auch für On-Premise-Kunden in die Cloud aufzuzeigen und gleichzeitig Investitionen zu schützen.