Viertagewoche: Allheilmittel oder Wunschdenken?
„Jobselling Report 2023“ beleuchtet die Wünsche von österreichischen Arbeitnehmer:innen an ihre Arbeitgeber.
Ein Pilotprojekt in Großbritannien, bei dem 60 Unternehmen die Viertagewoche eingeführt haben, zeigt: weniger Stress und Burn-out-Fälle unter den Mitarbeiter und keine Umsatzeinbrüche bei den Unternehmen. Immer mehr Unternehmen ziehen nach. Der Ruf nach einer Viertagewoche werden immer lauter. Doch kann das wirklich funktionieren? Es müssen laut Heinz Herczeg, lifeCREATOR Consulting, die Gründe dafür geklärt und nicht aus Panik die Arbeitszeit verkürzt werden, damit das eigene Unternehmen attraktiver wirkt, ohne vorher die Konsequenzen abzuleiten: „Bei vollem Gehalt und gleichzeitiger Stundenreduzierung werden aus Vollzeitkräften Teilzeitkräfte. Ebenso stellt sich die Frage, wenn solche Regeln eingeführt werden, wird diese indirekte Gehaltserhöhung auch auf bestehende Teilzeitkräfte übertragen? Hier könnten massive Ungerechtigkeiten entstehen, die vorher abgeklärt werden müssen. Blind in eine Arbeitszeitverkürzung zu laufen, kann nach hinten los gehen.“
Gleiche Produktivität bei weniger Arbeitszeit
Der Testlauf in Großbritannien ergab auch, dass Arbeitsleistung nicht mit der Arbeitszeit sinkt. Wenn Unternehmen nun von einer Steigerung der Produktivität berichten, stellt sich für Arbeitgeber die Frage, was die Arbeitnehmer bisher in ihrer 40-Stunden-Woche getan haben. Ebenso bleibt offen, ob Mitarbeiter bei Bedarf an einem fünften Tag arbeiten dürfen, inwiefern diese als Überstunden gerechnet werden und ob das strategisch ausgenutzt werden würde.
Christian Klement, Geschäftsführer bei epunkt: „Fehlende Fachkräfte, die hohe Wechselbereitschaft im Job und die schwindende Bindung an ein Unternehmen haben auch die Recruitingbranche erreicht: Unsere Mitarbeiter werden umworben, wie man es bislang nur von Beschäftigten aus der IT-Branche kannte. Will man gute Mitarbeiter langfristig halten, muss man als Arbeitgeber Wege finden, die 12 auf einer Skala von 1 bis 10 zu sein.“
Klement: Wir glauben an die Vorteile der Arbeitszeitverkürzung,
Arbeitnehmer jeder Branche haben heutzutage fast freie Wahl, was den Arbeitgeber betrifft. „Wenn man nicht hinter der Idee der Viertagewoche steht, kann man ihr die Schuld für alles geben, was nicht funktioniert. Aber wir glauben an die Vorteile der Arbeitszeitverkürzung, wie Produktivitätsgewinne, enorme Erholungseffekte und Mitarbeiterbindung. Internationale Studien haben bereits gezeigt, dass es funktioniert“, so Klement.
In einigen Bereichen herrscht bereits jetzt großer Fachkräftemangel. Pflege, Kinderbetreuung oder Technik sind nur ein paar Beispiele dafür. Besonders in der Kinderbetreuung ist das Thema Arbeitszeitverkürzung ein zweischneidiges Schwert. Zum einen hätten Eltern mehr Zeit, um sich selbst um ihre Kinder zu kümmern, was Erzieher entlasten würde. Andererseits sind aber auch Eltern in Kindergärten, Hort und Schulen angestellt und der Fachkräftemangel würde sich in diesem Bereich verschlimmern. Hier bewegt man sich auf dünnem Eis. Klar ist, wenn Eltern tendenziell mehr beziehungsweise länger arbeiten sollen – wie vom Arbeitsminister Martin Kocher in Österreich gewünscht –, müssten sich auch die Kinderbetreuungstätten an längere Arbeitszeiten anpassen, damit das System funktioniert.
Wünsche der Mitarbeiter und Umsetzbarkeit im Mittelpunkt
Unternehmen, die in Zukunft attraktiv für Arbeitnehmer:innen werden oder bleiben wollen, müssen Arbeit neu denken. Daran führt, nicht nur aufgrund der nachkommenden Gen Z auf den Arbeitsmarkt, kein Weg vorbei. Ob die Viertagewoche der Schlüssel zum Erfolg ist, ist fraglich. Frauen mit Betreuungspflichten sei laut Herczeg beispielsweise Flexibilität weit wichtiger als eine Arbeitszeitverkürzung. Iris Kunrath, Head of Customer Relations & Senior Culture Coach bei Great Place to Work, ergänzt dazu: „Wir haben Unternehmen die sagen, ich habe so viele individuelle Arbeitszeitmodelle wie ich Mitarbeiter:innen habe. Und das ist bei einem Betrieb mit mehr als 300 Mitarbeiter:innen der Fall.“
Silvia Graf, HR-Managerin bei Neudoerfler Büromöbel, bestärkt diesen Ansatz: „Die Viertagewoche klingt im ersten Moment perfekt, bei näherem Hinsehen kann sie aber auch ihre Tücken haben. Unter den längeren Arbeitstagen kann die Flexibilität leiden, die vielen immer wichtiger wird. Jede:r hat andere Ansprüche an Arbeitszeiten – die Viertagewoche kann für einige eine einschränkende Wirkung haben. Deshalb ist es besonders wichtig, auch Flexibilität der Arbeitstage zuzulassen und die 4-Tage-Woche auf freiwilliger Basis zu leben.“ Die Einführung einer Viertagewoche habe laut der Expertin aber auch mehrere positive Auswirkungen, die unmittelbar festgestellt werden können. „Vor allem die Attraktivität als Arbeitgeber sticht hier hervor. Mitarbeiter:innen erleben eine positive Auswirkung auf ihre (psychische) Gesundheit und ihre Work-Life-Balance und sind auch während ihrer Arbeitszeit produktiver. Bei Neudoerfler machen wir sehr positive Erfahrungen mit der 4,5-Tage-Woche“, ergänzt Graf.
Individuelle Arbeitszeitmodelle
Die Viertagewoche ist keine Win-win-Situation. Die Konsequenzen sind nicht gut durchdacht. Um ein attraktives und gleichzeitig umsetzbares Arbeitszeitmodell fürs Unternehmen und Mitarbeiter:innen zu erstellen, verlangt es genaueres Hinsehen und mehr als eine einfache Arbeitszeitverkürzung. Dazu wird jedes Unternehmen ein eigenes System entwickeln müssen, das die Attraktivität, die Mitarbeiter:innenzufriedenheit und die Produktivität fördert. „Es ist nicht eine einzelne Maßnahme, die gesetzt werden muss, um die Attraktivität des Unternehmens sowie die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen zu optimieren. Wir müssen den ganzheitlichen Wert eines Jobs für Menschen an wesentlich mehr Dimensionen festmachen und das sehr individuell“, rät Herczeg abschließend.