Wien: 4-Milliarden-Digitalisierungs-Investitionspaket gegen drohenden Wirtschaftsabschwung

Internetoffensive Österreich rät zu „Kassasturz“ bei öffentlichen Digitalisierungsprojekten und präsentiert 5-Punkte-Plan.

Der Wirtschaftsstandort Österreich braucht dringend eine digitale Investitionsspritze, um sich mittelfristig gegen eine Abwärtsbewegung der Wirtschaftskonjunktur wehren zu können. Wirtschaft und Politik sind gemeinsam aufgerufen, schnell, flächendeckend und effizient jene Instrumente der Digitalisierung einzuführen, die einerseits Unternehmen am Markt wettbewerbsfähiger und resilienter machen, und andererseits die Zukunftsfähigkeit des Bildungsangebots und das österreichische Sozialmodell nachhaltig absichern.

Die führenden Digitalisierungs-Unternehmen Österreichs schätzen den gemeinsamen Investitionsbedarf von Wirtschaft und Politik bis 2024 auf 4 Milliarden Euro, wie im Rahmen des  „IKT-Konvents“ der “Internetoffensive Österreich” bekanntgegeben wurde.

Die Maßnahmen des Investitionspakets stehen im von der “Internetoffensive Österreich” vorgestellten neuen Strategiepapier „Die große Chance“. „Etwa 400 Expert*innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft haben in den vergangenen 12 Monaten an diesem bisher umfassendsten Digital-Strategiepapier gearbeitet, das je in Österreich präsentiert wurde. Sämtliche Maßnahmen sind von Zielsetzungen des Regierungsprogramms und europäischen Programmen abgeleitet und somit für wirtschaftspolitische Ziele der Republik maßgeschneidert“, so Patricia Neumann, Präsidentin der “Internetoffensive Österreich”.

Investitionen in Breitbandausbau

2,8 Milliarden Euro sollen bis 2024 in den Breitbandausbau investiert werden, davon 2,2 Milliarden seitens der Telekomwirtschaft und 600 Millionen Euro im Rahmen der Förderprogramme „BBA 2030“, die zeitnahe vergeben werden. Im Bereich IT sind weitere 1,2 Milliarden Euro zur Finanzierung der in der „Großen Chance“ angeführten Maßnahmen zu investieren, davon etwa 600 Millionen Euro seitens der Unternehmen, die andere Hälfte durch den Öffentlichen Sektor. „Es geht hier nicht um die Finanzierung des IT-Regelbetriebs, sondern um neue, zusätzliche Digitalisierungsmaßnahmen, um mit den rasanten Entwicklungen der digitalen Möglichkeiten mithalten zu können“, so Neumann.

„Insgesamt gab 2020 der Öffentliche Sektor für IT 2,2 Milliarden Euro aus, davon etwa ein Drittel durch den Bund. Diese Summe soll bis 2024 auf 3 Milliarden Euro wachsen, was einem Anstieg um 36% Prozent entspricht“, so Michael Zettel, Vizepräsident der IOÖ und Country Managing Director von Accenture Österreich. Zettel: „Wir erwarten bei den jährlichen IT-Investitionen aller österreichischen Unternehmen einen starken Anstieg von derzeit 13 Milliarden Euro auf 20 Milliarden Euro bis 2030, das entspricht einer Steigerung von 50 Prozent in den kommenden acht Jahren. Der Öffentliche Sektor muss darauf vorbereitet werden, sich den gestiegenen Anforderungen eines modernen Staates zu stellen, um die Herausforderungen in den Bereichen Sicherheit, Energie- und Rohstoffwende, Kampf gegen Klimawandel oder Gesundheit und Pflege zu meistern – mit Hilfe eines digitalen Investitionsplans“, so Zettel.

IOÖ: „Kassasturz“ aller Digitalisierungs-Projekte

Die “Internetoffensive Österreich” rät der Bundesregierung, nach den kürzlichen Umstellungen der Ressorts und Wechsel der zuständigen Bundesminister:innen, zu einem „Digitalisierungs-Kassasturz“ aller laufenden IT-Aktivitäten des Bundes, um für die kommenden Jahre ein effizientes und abgestimmtes Investitionskonzept zur Digitalisierung erarbeiten zu können. Ebenso sollen sämtliche Gesetzesvorhaben im Digitalisierungsbereich Teil dieses „Kassasturzes“ sein, um sicherzustellen, dass sie in das Ziel, Österreich zu einer führenden Digitalisierungsnation in Europa zu machen, entsprechend einzahlen.

„Investitionsschwerpunkt des Bundes soll neben den laufenden Breitbandförderungsvorhaben die Umsetzung eines „Digitalen Fünf-Punkte-Programms“ in den Bereichen Gesundheit, Energie- und Rohstoffwende, Cyber Security, Bildung und KMU sein. Die „Große Chance“ ist das entsprechende Handbuch, um die richtigen Maßnahmen für die Zukunft zu setzen“, so Zettel.

Breitbandförderung den Bürger*innen übertragen

Die Bundesregierung wird in den kommenden zwei Jahren 1,4 Milliarden Euro an Förderungen für den Breitbandausbau in nicht rentablen Ausbaugebieten investieren. „Die Telekomwirtschaft schlägt vor, diese Förderungen zukünftig nicht an Infrastruktur-Bauunternehmen zu vergeben, sondern per „Voucher“ direkt an die Bürger:innen. Diese sollen künftig selbst bestimmen können, bei welchem Internetanbieter sie zur Herstellung eines Gigabit-Anschlusses den Voucher einlösen möchten“, so Marcus Grausam, Vizepräsident der IOÖ und CEO von A1 Telekom Austria. „Die Vorteile eines Voucher-Systems in der Breitbandförderung sind neben der Technologieunabhängigkeit auch die Nachfragestimulierung, um Haushalte zu animieren auch Gigabit-Anschlüsse zu kaufen. So schaffen wir die Basis für Digitalisierung und der Ausbau rechnet sich auf für Betreiber“, so Grausam.

„Den damit verstärkten Wettbewerb um das bessere Internet-Angebot fürchten wir nicht, denn wir wissen, dass wir damit Gigabit-Anschlüsse generell attraktiver machen und den Breitbandausbau beschleunigen“, so Rudolf Schrefl, Vizepräsident der IOÖ und CEO von Hutchison Drei Österreich. „Um den Breitbandausbau in den ländlichen Gebieten zu beschleunigen, brauchen wir dringend einen Bürokratieabbau bei Genehmigungsverfahren. Diese dauern zwischen Ländern, Bezirken und Gemeinden nach wie vor bis zu 18 Monate – das ist nicht zukunftsfähig. Wir brauchen die Umsetzung von „One-Stop-Shops“ in allen Bundesländern, um innerhalb von acht Wochen Bauvorhaben starten zu können“, so Rudolf Schrefl.

Besonders bedeutend für die Realisierung des flächendeckenden Gigabit-Ausbaus in Österreich ist die Kostenbeteiligung von US-Streaming-Plattformen: „Österreich muss in Europa die Stimme für eine Gigabit-Abgabe großer internationaler Cloud- und Streaminganbieter erheben. Die laufenden Netzwerkinvestitionen trägt derzeit der heimische Telekommunikationssektor und die privaten Haushalte über ihre Internettarife, während die großen bandbreitenhungrigen Streaming-Plattformen die Infrastruktur kostenlos nützen und kaum zur heimischen Wertschöpfung beitragen. Daher setzen wir uns für eine „Fair-Share-Abgabe“ ein, für die sich Österreich bei den europäischen Institutionen stark machen soll“, so Andreas Bierwirth, Vizepräsident der IOÖ und CEO von Magenta Telekom. Ohne diese Abgabe nach dem Verursacherprinzip degradieren wir uns in Europa mittelfristig zum reinen Bereitsteller von Infrastruktur, während die Wertschöpfung der Telekomwirtschaft aus Europa abfließt – das sei nicht nachhaltig, sagt Bierwirth.

Wenig Digitalisierungs-Fortschritte bei Österreichs KMU

Die durch die Covid-Krise hervorgerufene Digitalisierungswelle hat die KMU in Österreich kaum erreicht: Die Zahl der vollständig digitalisierten Kleinbetriebe stagniert laut Digitalisierungsindex seit Pandemiebeginn, Großbetriebe hingegen haben sich von 43% auf 54% verbessert. Das bedeutet einen massiven Nachteil kleiner Unternehmen, die schon vor der Pandemie die Chancen der Digitalisierung großteils nicht effektiv genutzt haben. Berücksichtigt werden für die Bewertung des Digitalisierungsgrads der Unternehmen IT-Ausstattung, Vernetzung, Online-Präsenz, Online-Vertrieb und Arbeitsweise.